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Stabilisierung: Ein erster Schritt auf deinem Weg zur Traumaintegration


Liebe Leserin, lieber Leser, 

vielleicht fühlst du dich manchmal von starken Gefühlen oder überwältigenden Erinnerungen mitgerissen. Dein Nervensystem scheint immer auf Hochtouren zu laufen, oder du spürst eine bleierne Müdigkeit, die dich lähmt. Stabilisierung ist ein wertvolles Werkzeug, um dir in diesen Momenten wieder mehr Halt und Boden zu geben. Ich möchte dir in diesem Artikel aufzeigen, warum Stabilisierung so wichtig ist und wie sie dir helfen kann, dein Leben wieder stärker in die eigenen Hände zu nehmen.

Was bedeutet Stabilisierung in der Traumaarbeit?

Stabilisierung ist ein grundlegender Bestandteil jeder Traumatherapie. Sie bildet das Fundament für all die Schritte, die später kommen können, wie etwa das Aufarbeiten oder Integrieren traumatischer Erlebnisse. Stabilisierung heißt, dass wir eine Basis schaffen, die dir hilft, wieder in dein Gleichgewicht zu kommen. Damit lernst du, dich selbst zu regulieren und dich nicht in den starken Gefühlen oder Erinnerungen zu verlieren.

 

Die psychotraumatologische Grundlage: Warum reagiert der Körper so?


Wenn wir traumatische Erlebnisse erfahren, aktiviert sich ein Überlebensmodus im Gehirn, insbesondere in der Amygdala, die für die Verarbeitung von Angst und Gefahr zuständig ist. Im Extremfall kann diese Aktivierung dazu führen, dass wir auch in ungefährlichen Situationen in diesem Überlebensmodus verbleiben. Menschen mit traumatischen Erlebnissen haben oft das Gefühl, dass sie auf „Autopilot“ laufen und sich hilflos ausgeliefert fühlen. Stabilisierung hilft, diesen Kreislauf zu durchbrechen.

 

Peter Levine, Begründer des Somatic Experiencing®, betont, dass der Körper in der Lage ist, sich selbst zu regulieren, wenn er unterstützt wird. Stabilisierung bietet diese Unterstützung und stärkt damit auch die Resilienz des Nervensystems.

Stabilisierung im Alltag: Wie sie dir helfen kann


Im Alltag bedeutet Stabilisierung, Werkzeuge an der Hand zu haben, die dir helfen, in deiner Mitte zu bleiben und schwierige Momente leichter zu bewältigen. Es geht darum, dass du ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle entwickelst, selbst wenn äußere Umstände herausfordernd sind.

 

Es gibt verschiedene Methoden der Stabilisierung, die sich auf das Fühlen, Wahrnehmen und Spüren konzentrieren, da diese direkten Zugang zum Nervensystem bieten. Hier sind einige bewährte Übungen, die ich dir gerne ans Herz lege:

 

1. Bodyscan – Deinen Körper spüren

Eine einfache, aber sehr effektive Übung ist der Bodyscan. Nimm dir dafür fünf bis zehn Minuten Zeit. Setze oder lege dich bequem hin, schließe die Augen und richte deine Aufmerksamkeit nacheinander auf verschiedene Körperregionen. Beginne bei den Füßen und arbeite dich langsam bis zum Kopf hoch. Spüre, wie sich jeder Bereich anfühlt – kalt, warm, entspannt oder angespannt. Diese Übung hilft dir, in deinem Körper anzukommen und dich wieder zu „erden“.

 

2. Atemregulation – Atme dich in deine Mitte

Der Atem ist ein direkter Zugang zum Nervensystem. Eine einfache Atemübung, die du überall anwenden kannst, ist das sogenannte 4-7-8-Atmen. Atme vier Sekunden ein, halte den Atem für sieben Sekunden und atme dann acht Sekunden lang aus. Diese verlängerte Ausatmung aktiviert den Parasympathikus, den „Ruhemodus“ des Nervensystems, und hilft dir, innerlich ruhiger zu werden.

 

3. Sichere Orte – Ein Anker in dir

Stelle dir einen Ort vor, an dem du dich absolut sicher und geborgen fühlst. Es kann ein Ort in der Natur sein, ein Raum aus der Kindheit oder ein rein gedachter Zufluchtsort. Nimm dir Zeit, ihn dir in allen Details auszumalen. Diesen „sicheren Ort“ kannst du als mentale Zuflucht nutzen, wenn dich intensive Gefühle oder Erinnerungen überfluten.

 

4. Ressourcen finden – Dein innerer Schatz

Überlege dir Dinge oder Erinnerungen, die dich stärken. Das kann eine kleine Freude im Alltag sein oder eine positive Erfahrung aus deiner Vergangenheit. Wenn du dich auf diese „Ressourcen“ konzentrierst, stärkst du positive Gefühle in dir und machst dir bewusst, dass es Lichtpunkte gibt – selbst in schwierigen Zeiten.

 

5. Berührung und Druck – Die eigene Präsenz spüren

Viele Menschen finden es hilfreich, sich selbst leichten Druck auf die Schultern oder den Oberkörper zu geben oder die Arme zu umschließen. Diese Berührung kann ein Gefühl von Geborgenheit und Stabilität vermitteln, weil sie dir hilft, dich zu „verankern“ und dich selbst zu spüren.


Stabilität: Der Schlüssel zu mehr Selbstbestimmung und Sicherheit


Stabilisierung in der Traumaarbeit ist nicht nur ein Schritt, sondern eine tägliche Praxis, die dir hilft, immer wieder ins Hier und Jetzt zurückzukommen. Es ist wie das Training eines Muskels: Je öfter du Stabilität und Ruhe für dich übst, desto stärker wird deine innere Widerstandskraft. Du beginnst, mehr Selbstbestimmung über deine Reaktionen zu gewinnen, und kannst so das Gefühl der Hilflosigkeit Stück für Stück durch Selbstsicherheit ersetzen.

 

Die Arbeit an Stabilisierung ist ein Prozess, und es ist wichtig, dass du diesen Weg in deinem Tempo gehst - wo es um sehr tiefgehende und schmerzhafte Erfahrungen geht, dürfen wir nicht die Erwartung haben, dass es schnelle Lösungen gibt. Aber Schritt für Schritt und mit jeder Übung gewinnst du an Sicherheit. Das Wichtigste ist: Sei geduldig mit dir selbst. Es ist absolut in Ordnung, wenn du nicht jeden Tag Fortschritte spürst. Die Veränderung kommt manchmal leise und versteckt, aber sie kommt.

  

Jede kleine Übung, jedes bewusste Ein- und Ausatmen ist ein Schritt in Richtung mehr Selbstvertrauen und Sicherheit. Wie der Psychiater Bessel van der Kolk sagt: „Es ist möglich, den Körper wieder als Zuhause zu erleben und nicht länger als Gefängnis.“

 

Ich hoffe, dass dieser Artikel dir einige Werkzeuge an die Hand gegeben hat, um Stabilität in deinen Alltag zu bringen. Sei mutig und geduldig mit dir selbst – du bist auf einem guten Weg.

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